Rede zum 1. Mai 2014 in Freiburg
In den bürgerlichen Medien wird Deutschland gern als offene und plurale Gesellschaft bezeichnet. Doch neben dem Ausschluss von MigrantInnen und Flüchtlingen an der gesellschaftlichen Teilhabe hören soziale Rechte auch oft genug am Werkstor auf. Das hat hierzulande und leider auch weltweit Tradition. Ein unverzichtbarer sozialer Schrittmacher für grundlegende Verbesserungen ist immer die Arbeiterbewegung mit ihren vielen verschiedenen Organisationsformen gewesen. Das heißt, die vielen Millionen Menschen, die tagtäglich die materielle Grundlage der Gesellschaft schaffen, aber auch für ein besseres Leben kämpfen. Die Lohnabhängigen waren es, die wichtige Rechte und soziale Standards erkämpft haben. Und sie sind es immer noch!
Die ArbeiterInnen selbst – aber auch ihre Organisationen wie etwa die Gewerkschaften – sind immer wieder verschiedenen Angriffen durch Staat und Unternehmer ausgesetzt.
Das jüngste Beispiel für einen lang geplanten Großangriff auf die Gewerkschaftsund Streikfreiheit in Deutschland bildet das Vorhaben der Groko aus CDU und SPD, die sogenannte Tarifeinheit gesetzlich zu verankern. Einigkeit macht stark. Das ist richtig. Aber Einigkeit kann nicht von oben erzwungen werden, sie muss von unten wachsen. Es steht für uns außer Zweifel: Der Regierung geht es mit ihrem Projekt der Tarifeinheit natürlich nicht um die Einheit der abhängig Beschäftigten, sondern um den Vorteil für die Bosse.
Die geplante, gesetzlich festgelegte Tarifeinheit würde die Beschneidung gewerkschaftlicher und betrieblicher Handlungsfreiheit bedeuten. Denn ihre Tarifeinheit heißt Burgfrieden: Ein Betrieb, ein Tarifvertrag, und Ruhe im Karton! Das schärfste Schwert der ArbeiterInnen – der Streik, der offene Arbeitskampf – soll nach herrschendem Recht nur von Gewerkschaften und nur für einen Tarifvertrag geführt werden. Doch diese Tarifeinheit sicherte dem DGB-Apparat nur jahrzehntelang einen »Platzhirsch-Effekt«. Und sie sicherte den Bossen eine verlässliche Kostenkalkulation – nicht umsonst haben wird in den letzten Jahrzehnten enorme Reallohnverluste hinnehmen müssen.
Mit der relativen Ruhe an der Gewerkschaftsfront ist es jedoch seit einiger Zeit tendenziell vorbei. Vor sieben Jahren etwa führte die Gewerkschaft der Lokführer (GdL) einen intensiven Arbeitskampf gegen die Deutsche Bahn und machte sich von der Umklammerung der DGB-Gewerkschaft »transnet« frei. Vor vier Jahren kippte dann das Bundesarbeitsgericht endlich die überkommene Tarifeinheit. Die heute geltende Tarifpluralität ist ein erster Schritt zur Verwirklichung von tatsächlicher Koalitions- und Gewerkschaftsfreiheit in den Betrieben. In der Bundesrepublik haben alle arbeitenden Menschen – auch die ohne deutschen Pass – auf der formalen Ebene das Recht, sich zu organisieren und für bessere Arbeits- und Lebensbedingungen zu kämpfen, z. B. in der Gewerkschaft ihrer Wahl. Wer unzufrieden ist mit der eigenen Organisation, kann die Gewerkschaft wechseln oder eine neue aufbauen. Uns ist dabei klar, dass sich keine Firma nur von guten Argumenten überzeugen lässt. Um Verbesserungen durchzusetzen, bracht es Druck unsererseits.
Warum Streiks und somit auch das Streikrecht so wichtig sind, zeigt schon ein Blick in die Geschichte: Zuerst war der Streik, dann die Gewerkschaft, und zuletzt der Tarifvertrag. Ohne Streik ergibt eine Gewerkschaft keinen Sinn und ohne zu kämpfen gibt es keine Verbesserungen. Das gesetzliche Vorhaben zur Tarifeinheit würde aber zur Fesselung aller kleinerer Gewerkschaften in den jeweiligen Betrieben führen und so die Kampfbedingungen aller Beschäftigten verschlechtern. Mit dem vorläufigen Ende der Tarifeinheit nähert sich die Bundesrepublik langsam internationalen Standards an. Zwar ist das formale Recht auf Arbeitskämpfe immer noch an Gewerkschaften und Tarifverträge geknüpft, und das bedeutet Bürokratie und Verrechtlichung. Aber immerhin: Nun sind Streiks einer Gewerkschaft oder Belegschaft möglich, wenn bereits Tarif und Friedenspflicht einer anderen Gewerkschaft gelten. Dies erleichtert es denjenigen, die mit einem sozialpartnerschaftlichen Kuschelkurs nicht einverstanden sind, Alternativen aufzubauen. Außerdem hat die Tarifpluralität durchaus für DGB-Mitglieder Vorteile, denn sie wirkt beispielsweise gegen Christliche Phantomgewerkschaften oder gegen Gefälligkeitsabkommen.
All das will die Regierungskoalition auf Druck der Bosse zurücknehmen und per Gesetz verordnen, dass wie ehedem nur schwerfällige Gewerkschaftskolosse und ihre Apparate das Sagen haben, wann gestreikt wird. Diese Gefahr haben viele aktive GewerkschafterInnen – auch in den großen Zentralorganisationen – erkannt. Sie sind mit Aktiven aus kleineren Gewerkschaften in der organisationsübergreifenden Initiative »Hände weg vom Streikrecht« aktiv. Diese Initiative wird sich Mitte Juni zu einer bundesweiten Konferenz treffen.
Es sollte jedoch auch klar sein, dass letztlich alles vom Engagement und der Initiative der einzelnen Belegschaften abhängt. Es ist also nicht das Tätigwerden des Gesetzgebers oder der Gerichte erforderlich, sondern das solidarische Engagement der Einzelnen, der Vielen, mithin eine lebendige und kämpferische Arbeiterbewegung. Eine von oben gewährte Tarifpluralität ist lediglich ein kleiner Faktor, der die Gewerkschaftslandschaft ein wenig stärken und beleben kann. Deswegen noch einmal: Die geplante Tarifeinheit ist ein Hebel der Politik und der Bosse, um kämpferischen Lohnabhängigen die Hände zu binden!
Also:
– Hände weg vom Streikrecht!
– Für volle gewerkschaftliche Aktionsfreiheit!
– Streikrecht ausweiten – statt einschränken
– Selbstorganisiert und solidarisch leben & kämpfen!