Luft nach Oben – Stellungnahme der AG Soziale Berufe zum TVöD-Tarifkonflikt 2023

RDL | Basisgewerkschaft FAU Freiburg kritisiert Tarifabschluss im öffentlichen Dienst. Warum nutzte ver.di nicht die hohe Streikbereitschaft für einen Erzwingungsstreik?

Verdi als verhandelnde Gewerkschaft und die Arbeitgeberseite haben im Tarifkonflikt im öffentlichen Dienst (TVöD) nach dem Schlichtungsverfahren eine Einigung erzielt (mehr Details hier). Für die Beschäftigten bedeutet dies, dass sie ab Juni 2023 einiges mehr an Geld erhalten werden. Dennoch ist offensichtlich: Das Ergebnis liegt weit unter den ursprünglichen Forderungen der DGB-Gewerkschaften (10,5%, mindestens aber 500€).

Angesichts der Tatsache, dass v.a. Verdi sich im Vorfeld einer sehr kämpferischen Rhetorik bediente und dass die Streikbereitschaft in Teilen des öffentlichen Dienstes enorm hoch war, enttäuscht die schnelle Einigung nach der Schlichtung. Es wurde sogar von einer so noch ’nie dagewesenen Streikbereitschaft‘ gesprochen. Ein Erzwingungsstreik – obwohl ins Spiel gebracht – blieb aber erneut aus.

Gründe fürs Streiken gäbe es angesichts des jetzt erzielten Ergebnisses nämlich noch einige:

  •  Einmalzahlungen wie der Inflationsausgleich sehen auf der Lohnabrechnung zwar gut aus, bringen aber zwei große Probleme mit sich: Zum einen führen sie nicht zu einer dauerhaften Steigerung des Gehalts, was bedeutet, dass bei den nächsten Tarifverhandlungen wieder beim gleichen Ausgangspunkt gestartet wird. Umso enttäuschender, da Verdi diese Problematik während der Verhandlungen selbst immer wieder als Argumentationslinie anbrachte.
    Sie erhöhen das Gehalt auch nicht dauerhaft, was angesichts einer im Kapitalismus immer vorhandenen Inflation (sprich Teuerung) aber notwendig ist um Reallohnverluste abzuwehren. Vor allem ist aber problematisch, dass die steuer- und sozialabgabenfreien Inflationsausgleichszahlungen sich nicht wie richtige Gehaltserhöhungen auch in den Rentenansprüchen (oder allgemein in den Beiträgen zu den Sozialversicherungen) niederschlagen.
  • Wenn man das Ergebnis durchrechnet, kommt für die unteren Gehaltsklassen durchaus eine deutliche Lohnsteigerung raus. Netto teilweise ein Plus von über 12%. Das ist allerdings nach wie vor maximal ein Ausgleich der Inflation (letztes Jahr bei fast 8%, und dieses Jahr wird sie auf 6% prognostiziert). Bedenkt man zudem, dass bei Personen mit geringem Einkommen Lebensmittel einen besonders großen Anteil der Ausgaben ausmachen, dann zeigt sich, dass die „Erhöhung“ ein Reallohnverlust darstellt. Die Inflationsrate bei Lebensmitteln steigt weiterhin und liegt bei über 22%! Und von tatsächlichen Lohnerhöhungen will scheinbar ohnehin niemand mehr sprechen. Genau dies müsste aber Ziel gewerkschaftlicher Tarifpolitik sein: Den Unternehmer:innen ihre Riesengewinne abluxen und den Lebensstandard der Lohnarbeitenden spürbar steigern.
  • Von niedrigen Gehältern und hohen Steigerungen der Lebensmittelpreise sind ganz besonders diejenigen Beschäftigten betroffen, die geringe Gehälter haben – z. B. alleinerziehende Frauen, die in Teilzeit arbeiten oder Personen in Care-Berufen, die aufgrund der extrem hohen Arbeitsbelastung in diesem Bereich oft ebenfalls nur in Teilzeit arbeiten können. Die Honorierung – immer noch in hohem Maß von Frauen ausgeübter – ’systemrelevanter‘ Tätigkeiten sieht anders aus!
    Zu kritisieren ist außerdem auch, dass die Kolleg:innen, die 2023 in den Job eintreten, leer ausgehen: Sie profitieren nicht von der Einmalzahlung im Juni.
  • Angesichts der weiteren Entwicklung der Inflation und der immer unsicherer werdenden wirtschaftlichen Lage zwischen Krieg und Krisen ist eine Laufzeit des Tarifvertrags von 24 Monaten viel zu lang. Kollektive Arbeitskämpfe um auch kurzfristig auf veränderte gesellschaftliche Bedingungen reagieren zu können werden durch die lange Laufzeit verunmöglicht. Lohnarbeiter:innen müssen flexibel auf veränderte globale Bedingungen reagieren können und nicht wiederum zwei Jahren darauf warten müssen wieder aktiv zu werden.

Alles in allem kann gesagt werden: Es ist deutlich Luft nach oben. Auch Kolleg:innen der FAU Freiburg sind solidarisch den Warnstreikaufrufen von Verdi gefolgt, haben ihre Kolleg:innen mobilisiert und an Aktionen teilgenommen. Diese allgemeine Aktionsbereitschaft – sich für ein besseres Gehalt gemeinsam mit den Kolleg:innen einzusetzen; Notfalls durch eine Erzwingungsstreik – wird von Verdi nun ausgebremst. Tarifabschlüsse spiegeln immer das Kräfteverhältnis zwischen Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite wieder; hohe Abschlüsse werden erzielt, wenn von unserer Seite genügend Druck aufgebaut wird. Es ist uns absolut unverständlich, warum Verdi das vorhandene Potenzial nicht nutzen wollte!

Andere Kommentare zur TVöD Einigung

Flugblatt FAU Betriebsgruppe „Frankfurter Verein“

Stellungnahme „Netzwerk für eine kämpferische und demokratische Verdi“

Kommentar FAU Düsseldorf

Stellungnahme „Versammlung Berliner Streikdeligierten“

Kommentar Webseite „Klasse gegen Klasse“

Speichere in deinen Favoriten diesen permalink.

Kommentare sind geschlossen.