Update vom 13.11.2024: Rechtsweg in Spanien ausgeschöpft (näheres siehe Unten).
Gefängnisstrafe nach Arbeitskonflikt?
In der spanischen Stadt Gijón kämpfte 2017 unsere Schwestergewerkschaft CNT um die Verbesserung der Arbeitsbedingungen der Belegschaft in der Konditorei „La Suiza“. Es ging um nicht bezahlte Überstunden und Urlaub, sexuelle Belästigung sowie der Kündigung einer schwangeren Kollegin. Nachdem der Chef ein Gesprächsangebot ausgeschlagen hatte, gab es angemeldete Kundgebungen und Aktionen vor der Firma mit Flugblätter Verteilen, Transparente Zeigen und öffentliche Reden über Lautsprecher. Stets war Polizei anwesend und es gab keinen einzigen Zwischenfall, den diese verfolgt hatte.
Die gegnerische Seite antwortete jedoch auf die Gesprächsbereitschaft der kämpfenden Kolleg*innen mit juristischen Klagen unter Anderem wegen Nötigung und Schadenersatzforderungen in einer über 11.000 Seiten(!) umfassenden Klageschrift. Ein als sehr arbeiter- und gewerkschaftsfeindlicher bekannter Richter am Landesgerichtshof folgte dem Anliegen des Chefs und verurteilte in 2021 6 Kolleginnen zu jeweils 3,5 Jahren Haft ohne Bewährung und zu einer Geldstrafe von insgesamt 125.428€, die an den Unternehmer zu zahlen ist. Die CNT legte Berufung ein, aber der oberste spanische Gerichtshof hatte im vergangenen Juni das vorhergehende Urteil bestätigt. Die verbliebenen Rechtsmittel sind verschwindend gering: Der Gang zum Europäischen Gerichtshof bzw. der juristische Versuch die Gefängnisstrafe zur Bewährung auszusetzen.
Die für ihre klare klassenkämpferische Haltung bekannte Gewerkschaft CNT antwortete in all den Jahren neben juristischen Mitteln auch mit einer Vielzahl von öffentlichen Protestaktionen auf die Urteile, sowie mit zwei zentralen Demonstrationen in Madrid und im vergangenen Juni in Gijón unter dem Motto „Gewerkschaftsarbeit ist kein Verbrechen!“. Sollten die Urteile Schule machen und zu einem rechtlichen Standard werden, würde die Gewerkschaftsfreiheit und -arbeit in Spanien einen sehr massiven Rückschlag erleiden.
Weil auch weitere Gewerkschaften diesen Angriff so einordnen, gab es daher eine gemeinsame, historisch einmalige Pressekonferenz aller großen spanischen Gewerkschaften am 13. Juli 2024, um die CNT in diesem Konflikt zu unterstützen. Mehrere Dutzende Gewerkschaften zeigen derzeit ihre Solidarität und rufen am 28. September in Gijón zu einer Demonstration für die sechs Kolleginnen der La Suiza und für die Gewerkschaftsfreiheit auf. Auch die Internationale Konföderation der Arbeit (IKA, icl-cit.org) ruft zu einem internationalen Aktionstag an diesem Datum auf. Die FAU stets verbunden mit dem Gedanken und dem festen Glauben an die Stärke der internationalen Klassensolidarität ist mit dabei!
Ihr seid nicht allein!
¡No estáis solas!
You are not alone!
Freiheit für die sechs Kolleginnen der La Suiza!
¡Libertad para las seis compañeras de La Suiza!
Freedom for the six from La Suiza!
Gewerkschaftsarbeit ist kein Verbrechen!
¡Sindicalismo no es un delito!
Labour union action is not a crime!
Update vom 13. November 2024 (via cnt.es)
Am 13. November lehnte das Verfassungsgericht unseren Antrag (=der CNT) auf Schutz der verfassungsrechtlichen Rechte von den 6 der „La Suiza“ mit der Begründung ab, er erfülle nicht die Voraussetzung der „besonderen verfassungsrechtlichen Bedeutung“. Obwohl diese Entscheidung zu erwarten war, werden wir weiter für die Freiheit unserer Kolleginnen kämpfen.
Warum wurde die Klage abgewiesen?
Die entsprechende Rechtsgrundlage (=ley orgánica) für das Verfassungsgericht legt fest, dass ein derartiger Antrag nur dann zulässig ist, wenn er von besonderer verfassungsrechtlicher Bedeutung ist. Dieses sehr subjektive Kriterium wurde in 76 % der im Jahr 2022 abgelehnten Fälle angewandt. In unserem Fall entschied das Verfassungsgericht einfach, dass unsere Klage diese Voraussetzung nicht erfüllt, ohne dies näher zu erläutern.
Was sind die nächsten Schritte?
- Straßburger Gericht: Trotz der Schwierigkeiten werden wir unseren Fall vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte bringen. Dazu mussten wir zunächst den nationalen Rechtsweg ausschöpfen, was wir nun getan haben.
- Vollstreckung des Urteils: Wir werden weiter dafür kämpfen, dass unsere Kollegen nicht ins Gefängnis kommen. Wir werden die Aussetzung der Strafe beantragen, wobei wir uns auf ihre soziale Herkunft und die geringe Höhe der Strafen berufen.
Warum ist es so schwierig, in diesem Fall Recht zu bekommen?
Es gibt viele Hindernisse im Justizsystem. Die Voraussetzungen für den Zugang zum Verfassungsgericht sind sehr restriktiv, und auch der Straßburger Gerichtshof wird mit einer großen Zahl von Fällen befasst. Wir werden jedoch weiterhin alle rechtlichen Möglichkeiten ausschöpfen, um einen Freispruch für unsere Kameraden zu erreichen und das Recht auf sozialen Protest zu verteidigen.