Streiks scheinen auch in Deutschland zuzunehmen – eine neue deutsche Streikwelle?
Dieses Interview ist neben weiteren spannenden Themen in der aktuellen DA veröffentlicht worden.
Demnächst erscheint das Buch „Ein Streik steht, wenn mensch ihn selber macht. Arbeitskämpfe nach dem Ende der großen Fabriken“ , herausgegeben von Peter Nowak. Darin werden Streiks außerhalb des klassischen Fabrik- und Gewerkschaftsumfelds dargestellt, vor allem in bislang als schwer organisierbar geltenden Sektoren. Auf Einladung der Region Süd der FAU wird der Herausgeber das Buch im September 2015 u.a. in Frankfurt, Freiburg, Karlsruhe, Mannheim und Stuttgart vor. Die DA sprach mit Peter Nowak über „kleine geile Streiks“.
Das Buch wird am Montag den 14. September um 20 Uhr auch in Freiburg im Strandcafe (Adlerstr. 12) vorgestellt.
Siehst du einen allgemeinen Trend zu Streiks in prekären und nicht gut organisierten Sektoren, oder bleiben dies lobenswerte Einzelfälle?
Oft sind diese Streiks Einzelfälle, aber sie deuten eine Tendenz an. Die Beschäftigten in den schwer zu organisierenden Branchen machen die Erfahrung, dass sie oft frühkapitalistischen Arbeitsbedingungen ausgesetzt sind und dass das Gerede über familiäre Arbeitsverhältnisse und flache Hierarchien diese Ausbeutungsverhältnisse nur mühsam ideologisch verschleiern. Sehr deutlich wird das am Arbeitskampf in einem Berliner Spätkauf, den ich im Buch vorstelle. Er ging für den Beschäftigten erfolgreich aus, er erstritt sich mit Hilfe der FAU eine Lohnnachzahlung. Dies war nur möglich, weil der Arbeitskampf auch als politische Auseinandersetzung öffentlich geführt wurde.
Der Kollege arbeitete in der Woche bis zu 60 Stunden, hatte aber offiziell einen 20-Stunden-Job. Er war mit dem Chef per Du und erfüllte oft die Funktion eines Ladenleiters. Als der Chef eine Kamera einbaute, mit der er den Kollegen ständig an seinen Arbeitsplatz beobachten konnte, war das Maß voll. Er forderte nicht nur den Abbau der Kamera, sondern auch eine Bezahlung nach den von ihm geleisteten Arbeitsstunden, Pausen, Urlaub etc. Sofort wurde der Ladenbesitzer, mit dem er per Du war, zum Kleinkapitalisten, der ihm zeigen wollte, wer Herr im Haus war. Er verhängte ein Hausverbot gegen den Kollegen und seine UnterstützerInnen und ging juristisch gegen Medien vor, die über den Arbeitskampf berichteten. Hier begann erst die Geschichte des Arbeitskampfes, der sicher ohne die Unterstützung der FAU und eines UnterstützerInnenkreises so nicht möglich gewesen wäre. So gelang es, innerhalb weniger Wochen mit Flyer- und Plakataktionen im Umfeld des Spätkaufs deutlich zu machen, dass Ausbeutung in der Nachbarschaft beginnt und bekämpft werden muss. Es gab mehrere Kundgebungen und zunehmend reagierten AnwohnerInnen offener. An diesem Beispiel zeigt sich, dass es möglich ist, auch in Branchen, die schwer zu organisieren sind, einen erfolgreichen Arbeitskampf zu führen. Dazu gehört allerdings der erste Schritt, dass der Beschäftigte die sozialpartnerschaftliche Ideologie „Wir sind eine große Familie“ überwinden muss. Es geht darum zu erkennen, dass es auch in diesen Arbeitsverhältnissen Interessengegensätze zwischen den KäuferInnen und VerkäuferInnen der Arbeitskraft gibt, die nicht durch Chefduzen überwunden werden können. Das ist der erste, aber wichtigste Schritt, um in diesen Branchen einen Arbeitskampf zu führen. Es gibt viele Beispiele, die erst einmal bekannt gemacht werden müssen. Dazu soll das Buch beitragen.
Viele kämpferische Streiks gingen von kleinen oder Spartengewerkschaften aus, oder von sich selbst organisierenden ArbeiterInnen. Gleichzeitig geht der gewerkschaftliche Organisationsgrad seit Jahren zurück. Was leisten kleine Gewerkschaften, was die klassischen Massenorganisationen nicht können?
Sie können Beschäftigte in Bereichen organisieren, die durch das Raster der DGB-Gewerkschaften fallen. In Branchen, wo es Betriebe mit einer Handvoll Beschäftigten gibt, werden die großen Gewerkschaften erst gar nicht aktiv. Natürlich gibt es da mittlerweile gerade im Bereich von ver.di auch Bewegung. So sind in Hamburg im ver.di-Fachbereich „besondere Dienstleistungen“ mittlerweile auch SexarbeiterInnen organisiert. Generell aber gilt: Kleine Gewerkschaften sind viel näher an den KollegInnen dran und es gibt auch bessere Möglichkeiten der Basisbeteiligung, weil eben nicht ein großer Gewerkschaftsapparat vorhanden ist, der im Zweifel Basisaktivitäten lähmt. Rosa und Johanna von labournet.tv haben im Buch anschaulich beschrieben, wie sich die oft migrantischen LogistikarbeiterInnen in Norditalien mit Unterstützung der Basisgewerkschaft SI Cobas organisierten, erfolgreiche Arbeitskämpfe führten und auch ein UnterstützerInnenumfeld in der außerparlamentarischen Linken fanden. Dass sind Prozesse, die Mut und Inspiration geben. Es ist überhaupt ein Plädoyer, über den nationalen Tellerrand zu blicken. In vielen europäischen Ländern, aber auch in den USA gibt es interessante Organisierungsversuche von schwer organisierbaren Beschäftigten. Am Ende des Buches sind Zeitschriften und Internetprojekte aufgeführt, die darüber berichten.
Der Untertitel – „Arbeitskämpfe nach dem Ende der Fabriken“ – verweist auf einen anderen Trend: In den Hochlohnländern nehmen die Betriebsgrößen ab, Arbeitsverhältnisse werden zunehmend ‚flexibilisiert’. Wie können sich ArbeiterInnen unter diesen veränderten Bedingungen wirksam organisieren?
Zunächst mal ist die Flexibilisierung kein Naturgesetz, wie oft behauptet wird. Sie ist die Folge des Machtverlustes der Arbeiterbewegung in den letzten Jahrzehnten. Schließlich wurden alle Rechte von Lohnerhöhungen bis zur Begrenzung der Arbeitszeit etc. durch die Arbeiterbewegung erkämpft und waren kein Geschenk von Staat und Wirtschaft. Allerdings haben die sozialpartnerschaftlichen Gewerkschaften einen gewichtigen Anteil daran, dass diese Erkenntnis verloren ging. Es gibt natürlich kein Patentrezept, wie sich KollegInnen organisieren sollen. Wichtig ist, dass sie selber ihre Interessen aktiv wahrnehmen, sich untereinander austauschen, beratschlagen, Forderungen aufstellen und sie dann auch öffentlich durchsetzen. Das ist nicht so viel anders als in der alten Arbeiterbewegung. Denn damals wurde ebenfalls unter extrem prekären und flexiblen Arbeitsverhältnissen gearbeitet und auch dagegen gekämpft.
Im Care-Bereich sind Streiks oft besonders schwer zu vermitteln – die von der Arbeitsniederlegung Betroffenen sind oft von den erbrachten Dienstleistungen in hohem Maße abhängig. Siehst du den jüngsten KiTa-Streik in dieser Hinsicht als erfolgreiches Modell? Lässt sich dies auf z.B. den Pflegebereich mit seinen notorisch schlechten Arbeitsbedingungen übertragen?
Viele der neuen Arbeitskämpfe werden im Dienstleistungsbereich geführt, in denen vor allem Frauen oft zu niedrigeren Löhnen als Männer beschäftigt sind. Das gilt für den KiTa-Bereich ebenso wie im Gesundheitswesen. Auch im Einzelhandel waren es vor allem Frauen, die sich gegen ihre Arbeitsbedingungen organisierten. Die feministische Sozialwissenschaftlerin Gabriele Winker hat in ihrem jüngsten Buch „Carerevolution – Schritte in eine solidarische Gesellschaft“ sehr gut dargelegt, dass ein wichtiger Teil der neuen Carerevolution-Bewegung auch gewerkschaftliche Kämpfe im Sorge-, Gesundheits- und Erziehungsbereich sind. Dankenswerterweise hat Alexandra Wischnewski für unser Streikbuch einen Beitrag geliefert, der sich mit den Problemen einer solidarischen Organisierung von Carearbeit befasst. Ihr Aufsatz beginnt mit der Frage: „Wer übernimmt die Versorgung der Kinder und Alten, der Pflege- oder Assistenzbedürftigen, wenn die Beschäftigten streiken?“ Damit spricht sie eine wichtige Frage der neuen Arbeitskämpfe an. Gerade Arbeitskämpfe im Dienstleistungssektor zeigen nur Wirkung, wenn diese Bereiche lahmgelegt werden. Was bedeutet es aber für berufstätige Frauen, wenn die KiTa geschlossen ist? Die Organisierung solidarischer Netzwerke ist auch eine Aufgabe der Gewerkschaften. Wenn während eines KiTa-Streiks gewerkschaftliche und feministische Zusammenhänge gemeinsam eine solidarische KiTa organisieren, wächst so auch die Bereitschaft von Eltern, sich mit dem Arbeitskampf der KiTa-Beschäftigten zu solidarisieren. Genauso sollten bei Arbeitskämpfen im Gesundheitssektor PatientInnen und ihre Angehörigen einbezogen werden. So wird aus einem Betriebskampf eine gesellschaftliche Auseinandersetzung. Heute ist gerade bei Arbeitskämpfen in Bereichen außerhalb der großen Fabriken eine gesellschaftliche Solidarisierung notwendig für einen Erfolg. Gleichzeitig wird dadurch, dass ein Arbeitskampf aus dem Betrieb in die Gesellschaft getragen wird, deutlich, dass es um mehr als eine Lohnerhöhung oder eine Arbeitszeitverkürzung geht. Es geht um die Infragestellung eines kapitalistischen Systems, dass die Verwertung und Ausbeutung der Arbeitskraft zur Grundlage hat.
Interview: Robert Schmidt